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Biodiversitätsinformatik / Biodiversity Informatics
Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin-Dahlem

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Beziehungen zwischen taxonomischen Konzepten und die Übertragbarkeit verknüpfter Information

Der Begriff taxonomisches Konzept wird hier als eine Menge von „verwandten“ biologischen Objekten, entsprechend expliziten oder impliziten Auffassungen eines bestimmten Autorenteams, definiert. Es handelt sich also um eine „subjektive“ Abgrenzung eines Taxons. Wird ein bestimmter Taxonname von einem Autorenteam verwendet, so entsteht ein taxonomisches Konzept.  Für das taxonomische Konzept werden auch die Begriffe "potential taxon" ((BERENDSOHN, 1995),  "taxon view" (ZHONG et al., 1996) oder "taxonym" (KOPERSKI et al., 2000 )  verwendet.

Ein taxonomisches Konzept wird durch den verwendeten Taxonnamen und die Referenz bezeichnet:
z. B. Racomitrium affine (F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. CORLEY & al. (1981/1991).

INHALT: Grundbeziehungen | Zusammengesetzte Beziehungen | Der Verkettungsoperator | Übertragbarkeit von Informationen | Qualifizierung von Beziehungen

Grundbeziehungen 

Folgende Grundbeziehungen aus der Mengenlehre sind in der Biologie für die Beschreibung der Beziehung zwischen zwei taxonomischen Konzepten PT1 und PT2 relevant:

 

 

R1. PT1 und PT2 sind kongruent
PT1 º PT2                   xÎ PT1 Û xÎ PT2   

 

 

R2. PT1 ist enthalten in PT2  
PT1 Ì PT2                  xÎ PT1 Þ xÎ PT2, $yÎ PT2 | yÏ PT1

 

 

R3. PT1 enthält PT2
PT1 É PT2                  xÎ PT2Þ xÎ PT1, $yÎ PT1 | yÏ PT2

 

 

R4. PT1 und PT2 überlappen sich
PT1 Å PT2                  $xÎ PT1 | xÏ  PT2, $yÎ PT2 | yÏ PT1,                                     $zÎ PT1 | zÎ PT2

 

 

R5. PT1 und PT2 sind disjunkt  
PT1 ! PT2                    xÎ PT1 Þ xÏ PT2

 

Für zwei beliebige PTi und PTj gibt es genau eine solche Grundbeziehung zwischen PTi und PTj (auch wenn diese unter Umstände nicht bekannt ist).

Beispiel (aus KOPERSKI & al. 2000):

Innerhalb der Familie der BRYOPHYTA wird von den Autoren eine taxonomische Auffassung für die Art Racomitrium affine (F. Weber & D. Mohr) Lindb. vertreten, die nicht immer mit den taxonomischen Auffassungen anderer Autoren übereinstimmt (siehe Seite 418).

Wenn
Racomitrium affine (F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. KOPERSKI & al. (2000) mit PT1,
Racomitrium affine
(F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. FRAHM & FREY (1992) mit PT2,
Racomitrium affine
(F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. LUDWIG & al. (1996) mit PT3,
Racomitrium heterostichum
(Hedw.) Brid. sec. SMITH (1980) mit PT4,
Rhacomitrium heterostichum
var. affine (Schleich.) J. J. Amann sec. MÖNKEMEYER (1927) mit PT5,
Rhacomitrium heterostichum
var. gracilescens Bruch & Schimp. sec. MÖNKEMEYER (1927) mit PT6,
Racomitrium affine
(F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. CORLEY & al. (1981/1991) mit PT7,
Racomitrium sudeticum
(Funck) Bruch & Schimp. sec. CORLEY & al. (1981/1991) mit PT8 und
Racomitrium affine
(F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. SMITH (1980) mit PT9
bezeichnet werden, dann werden von KOPERSKI & al. folgende Beziehungen angegeben:

PT1 º PT2, PT1 º PT3, PT1 Ì PT4, PT1 É PT5, PT1 É PT6, PT1 É PT7, PT1 Å PT8 und PT1 ! PT9

Beziehungen können aber entweder durch die Angabe einer oder mehreren  Grundbeziehungen oder als Ergebnis einer Kette von Beziehungen (von PT1 zu PT2, vom PT2 zu PT3 und so weiter) entstehen. Deswegen muss der Begriff  “zusammengesetzte Beziehung” eingeführt werden.

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Zusammengesetzte Beziehungen

Ist R die Menge aller Grundbeziehungen (R = {º, Ì, É, Å, !}), so wird jede Untermenge S von R als eine zusammengesetzte Beziehung definiert. Dies bedeutet, dass, wenn es eine (zusammengesetzte) Beziehung S zwischen PT1 und PT2 besteht, dann ist eine der S gehörenden Grundbeziehungen die Grundbeziehung zwischen PT1 und PT2.
(PT1 S PT2) Þ $ Ri Î S | (PT1 Ri PT2)

Es gibt 32 (25) unterschiedliche zusammengesetzte Beziehungen:
Æ, {º}, {Ì}, {É}, {Å}, {!}, {º, Ì}, {ºÉ}, {º, Å}, {º, !}, {Ì, É}, {Ì, Å}, {Ì, !}, 
{É, Å}, {É, !}, {Å, !}, {º, Ì, É},  {º, Ì, Å}, {º, Ì, !}, {º, É, Å}, {º, É, !}, {º, Å, !}, 
{Ì, É, Å},  {Ì, É, !}, {Ì, Å, !}, {É, Å, !}, {º, Ì, É, Å}, {º, Ì, É, !}, {º, Ì, Å, !}, 
{º, É, Å, !}, {Ì, É, Å, !} und {º, Ì, É, Å, !}.

Die “leere” Beziehung (Æ) darf nicht mit R5 (!) verwechselt werden. Sie dient nur zur Repräsentation in sich widersprüchliche Beziehungsangaben.
Die Beziehung R (d. h. die Menge aller Grundbeziehungen) beschreibt den Zustand, dass keine Kenntnisse über die reale Beziehung zwischen zwei taxonomischen Konzepten vorhanden sind.

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Der Verkettungsoperator

Was geschieht, wenn eine Beziehung S1 zwischen PT1 und PT2 und eine andere Beziehung S2 zwischen PT2 und PT3 besteht?

Dafür wird der Verkettungsoperator “®zwischen zwei zusammengesetzten Beziehungen definiert, dessen Ergebnis eine dritte zusammengesetzte Beziehung ist.

S1 ® S2 = S3 wenn und nur wenn S3 die Beziehung zwischen PT1 und PT3 ist, welche daraus folgt, dass S1 die Beziehung zwischen PT1 und PT2 und S2 die Beziehung zwischen PT2 und PT3 darstellen.

 

Die Ergebnisse dieses Verkettungsoperators können in einer 32 x 32 Tabelle beschrieben werden.

Beispiele:
{º} ® S = S für jede S
{º, Ì} ® {Ì} = {Ì}
{É} ® {É} = {É} aber
{Ì}® {Å} = {Ì, Å, !} und
{Å} ® {Å} = {º, Ì, É, Å, !}.

Im o. g. Beispiel mit Racomitrium affine (F. Weber & D. Mohr) Lindb. hatte man 
   PT1 Ì PT4 und PT1 É PT6.
Daraus folgt 
   PT4 É PT1 und PT6 Ì PT1.
Nun kann u. a. die Frage gestellt werden nach den Beziehungen zwischen einerseits PT4 und PT8 und zwischen PT6 und PT8 andererseits, die aus den bekannten Beziehungen abgeleitet werden.

   Es gilt PT4 S1 PT1, PT6 S2 PT1 und PT1 S3 PT8 mit S1 = {É}, S2 = {Ì } und S3 = {Å}.

Wenn S4 die durch Verkettung entstandene Beziehung zwischen PT4 und PT8 (bzw. S5 zwischen PT6 und PT8) ist, so ist 
   S4 = S1 ® S3 (S4 = {É}® {Å})
also
   S4 = {É, Å}
oder anders ausgedrückt
   PT4 {É, Å} PT8
und
   S5 = S2 ® S3 (S5 = {Ì}® {Å})
also
   S5 = {Ì, Å, !}
oder anders ausgedrückt
   PT6 {Ì, Å, !} PT8.

Berücksichtigt man aber die im Text gegebene Begründung für PT1 Å PT8:
R. heterostichum var. gracilescens wird in die Synonymie von R. sudeticum eingeordnet“,
so bedeutet dies, dass PT6 und PT8 den Typus von R. heterostichum var. gracilescens einschließen und dementsprechend NICHT disjunkt sein können.

Daraus folgt, dass  PT6 {Ì , Å} PT8, während PT4 {É, Å} PT8 gleich  bleibt. Außerdem kann  PT5 {Ì , Å, !} PT8 abgeleitet werden.

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Übertragbarkeit von Informationen

Betrachtet man mehrere taxonomischen Konzepte mit zugehörigen Beziehungen, dann entstehen neue Beziehungen durch Verkettung. Wie können diese neue Beziehungen so interpretiert werden, dass der Endnutzer einen Hinweis über die Qualität der von einem zum anderen taxonomischen Konzept übertragenen Informationen erhält?

Es gibt vier Optionen für die Übertragbarkeit von an das taxonomische Konzept PT1 gekoppelte Informationen zum taxonomischen Konzept PT2:

  • Voll übertragbar, wenn xÎ PT2 Þ xÎ PT1;
    Dies bedeutet, dass, wenn PT1 S PT2, dann S = {º}, S = {É} oder S = {º, É}

  • Partiell übertragbar, wenn $xÎ PT2 | xÎ PT1 und $yÎ PT2 | yÏ PT1;
    Dies bedeutet, dass, wenn PT1 S PT2, dann (Ì Î S oder Å Î S) aber ! Ï S

  • Fraglich übertragbar, wenn es vorkommen kann, dass $xÎ PT1 | xÎ PT2;
    Dies bedeutet, dass, wenn PT1 S PT2, dann ! Î S aber S ¹ {!}

  • Nicht übertragbar, wenn xÎ PT2 Þ xÏ PT1;
    Dies bedeutet, dass, wenn PT1 S PT2, dann S = {!}

Nur in den ersten drei Fällen sollten dem Endnutzer die übertragenen Informationen und die Qualität der Übertragbarkeit (mit entsprechenden Kommentaren) angezeigt werden .

Stellt man sich im Falle der unterschiedlichen taxonomischen Auffassungen von Racomitrium affine die Frage nach der Übertragbarkeit nach PT1 (Racomitrium affine (F. Weber & D. Mohr) Lindb. sec. KOPERSKI & al. (2000)) von eventuell an die anderen Auffassungen gekoppelten Informationen, so gilt:

  • Informationen betreffend PT2, PT3 und PT4 sind voll übertragbar,
  • Informationen betreffend PT5, PT6, PT7 und PT8 sind partiell übertragbar und 
  • Informationen betreffend PT9 sind nicht übertragbar.

Betrachtet man die oben diskutierten Beziehungen zwischen PT4, PT5 bzw. PT6 und PT8, so gilt:

  • Informationen betreffend PT4 und PT6 partiell auf PT8 übertragbar sind, aber
  • Informationen betreffend PT5 fraglich auf PT8 übertragbar sind.

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Qualifizierung von Beziehungen

Wenn der Experte Zweifel an die Beziehung hat, kann er sie mit “?” (zweifelhaft) markieren.
Man erhält also º? … !? und auch S? = {Ri? | Ri Î S}.

In dem schon erwähnten konkreten Beispiel haben KOPERSKI & al. in zwei Fällen die angegebene Beziehung nur als Vermutung beschreiben, so dass die Beziehungen als
PT1 Ì? PT4 und PT1 É? PT7 beschrieben werden.

Diese Markierung wird an durch Verkettung abgeleitete Beziehungen weitergeleitet.

Dementsprechend ist die Beziehung zwischen PT4 und PT8 S4? = {É?, Å?} und nicht nur S4 = {É, Å}.

Im Bezug auf die Interpretation von Übertragbarkeit wird die “zweifelhaft” Markierung derart vererbt, dass:

wenn PT1 S PT2,
dann ist die mit S assoziierte Übertragbarkeit zweifelhaft, genau dann wenn
Ri? für jedes Ri, das zu S gehört (Ri Î S Þ Ri?). 

So kann man sagen, dass Informationen, die an Racomitrium heterostichum (Hedw.) Brid. sec. SMITH (1980) gekoppelt sind, nicht nur „partiell“ an Racomitrium sudeticum (Funck) Bruch & Schimp. sec. CORLEY & al. (1981/1991) übertragbar sind sondern noch dazu, dass diese partielle Übertragbarkeit zweifelhaft ist.

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QUELLEN

BERENDSOHN, W. G. (1995): The concept of "potential taxa" in databases. - Taxon 44: 207-212 

KOPERSKI, M., SAUER, M., BRAUN, W. & GRADSTEIN, S. R. 2000: Referenzliste der Moose Deutschlands. Dokumentation unterschiedlicher taxonomischer Auffassungen. Schr.-R. f. Vegetationskunde. 34: 1-519.

ZHONG, Y., JUNG, S., PRAMANIK, S. & BEAMAN, J. H. 1996: Data model and comparison and query methods for interacting classifications in a taxonomic database. Taxon 45: 223-241.

 

Marc Geoffroy, Juli 2001

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MoreTax (Modellierung von regelbasierten Funktionalitäten) ist ein vom
Bundesamt für Naturschutz (BfN) finanziertes  Forschungs- und Entwicklungsvorhaben 

Projektleiter: Walter Berendsohn
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Marc Geoffroy

Diese Seite wurde zuletzt am 19-06-2002 geändert

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