W.
G. Berendsohn, C. Häuser &
K.-H. Lampe
(1999)
Biodiversitätsinformatik in Deutschland: Bestandsaufnahme und
Perspektiven
Bonner Zoologische Monographien 45. Zool. Forschungsinstitut und Museum
Alexander Koenig, Bonn.
Biodiversität ist die gesamte Vielfalt und Variabilität organismischen Lebens im terrestrischen, marinen und limnischen Bereich. Sie beinhaltet die Mannigfaltigkeit unter und zwischen Genen, Individuen, Populationen, Arten, Gesellschaften und Ökosystemen. Biodiversitätsinformatik ist die Anwendung einer informatischen Analysemethode oder einer Informationstechnologie auf Daten über biologische Diversität und deren Verknüpfungen mit anderen Daten, z.B. mit abiotischen und geographischen Daten. Im Zentrum dieses noch jungen Wissenschaftsgebiets werden technologische und organisatorische Hilfsmittel entwickelt, um digital erfasste Biodiversitätsdaten mit Informationstechnologie zu verwalten (speichern, indizieren, abfragen, analysieren, integrieren, visualisieren, publizieren usw.) und um sie potentiellen Nutzern aus allen Bereichen der Wissenschaft und der Gesellschaft elektronisch zugänglich zu machen.
Das Verständnis der Biodiversität hängt in hohem Maße von der Verfügbarkeit relevanter Informationen ab. Während früher ein Wissenschaftler sich noch durch Lesen der Literatur einen Überblick über ein Fachgebiet verschaffen konnte, ist das heute aufgrund der rasanten Zunahme biologischer Informationen ohne entsprechende Informationstechnologie nicht mehr möglich. Darüber hinaus werden elektronische Informationssysteme und Strukturen wie das Internet künftig Fragestellungen zulassen, die heute noch visionär erscheinen. Es wird erwartet, dass die Biologische Informatik als ein sich dynamisch entwickelndes, eigenständiges Fach die Grundlage der Biologie des 21. Jahrhunderts bilden wird (Robbins 1998). Sie wird vermutlich zu einem Paradigmenwandel in der Biologie führen (vergl. Gilbert 1991 für den molekularen Teilbereich).
Trotz aktuell stark gesteigerter datentechnischer Möglichkeiten stellt jedoch die generell hohe Komplexität biologischer Systeme eine effektive Verknüpfung und Integration selbst der bereits vorliegenden, allerdings oft heterogenen und dezentral organisierten Datenbestände vor besondere Probleme. Mit teilweisen Ausnahmen im molekularen Bereich wird die Sachlage weiter kompliziert durch große bestehende Lücken im Informationsbestand, fehlende Standards bei der Informationserfassung, unzureichende Bezugsdaten und fehlende klare Strukturierung der vorhandenen wie zukünftig zu erwartenden Informationen zur globalen Biodiversität. Hier sollten weitere Untersuchungen auf dem Gebiet der Datenstrukturforschung durchgeführt werden, die sich bemüht, die elementaren Komponenten der Biodiversitätsinformation offen zu legen (vergl. Berendsohn 1998).
Wie bereits erwähnt, ist die biodiversitätsinformatische Erschließung im Bereich der molekularen Biologie weit fortgeschritten. Dass der Begriff Bioinformatik, wie er z.B. im Namen der EMBL-Außenstelle in Hinxton/UK, dem European Bioinformatics Institute, Verwendung findet, meist ausschließlich auf den molekularen Bereich bezogen wird, verdeutlicht grundlegende Defizite in den darüber liegenden Ebenen, und hier besonders im organismischen Bereich. Ein Grund für das unterschiedliche Niveau der Biodiversitätsinformatik in den drei Ebenen molekular, organismisch und ökosystemar mag darin begründet sein, dass die erste und die letzte Ebene stark angewandte Aspekte besitzen. So ist die molekulare Ebene für medizinische und biotechnologische Industrien von Interesse, während auf der Ökosystemebene die Biodiversitätsinformatik zu einer Komponente der Umweltinformatik wird. Hingegen wurde es in der Vergangenheit weitgehend versäumt, die anwendungsbezogenen Aspekte der organismischen Ebene gebührend argumentativ zu vertreten.
In der Schaffung effektiver Strukturen für die Erfassung der Biodiversität und in der Entwicklung von Verfahren für ihre Analyse liegt die Herausforderung für die Biodiversitätsinformatik.
Inhalt | 1. Biodiversitätsinformation | 2. Biodiversitätsinformatik | 3. Internationale Strukturen: 3.1. Politischer Rahmen; 3.2. Umsetzung international, 3.3. Initiativen; 3.4. Standardisierung | 4. Strukturen in Deutschland: 4.1. Umsetzung internationaler Übereinkommen; 4.2. Umweltinformationssysteme; 4.3. Genetischen Ressourcen; 4.4. Gobale Biodiversität; 4.5. Zusammenfassung | 5. Strategie und Prioritäten: 5.1. National koordinierte Forschungsförderung; 5.2. Verbesserung der Infrastruktur; 5.3. Informationserschließung | Danksagung | Zitierte Literatur | Abkürzungen | Home
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